Antrag: Abwassergebührensatzung

Sehr geehrter Herr Dr. Morisse,

hiermit beantragen wir wie folgt:

Die Verwaltung wird beauftragt, die Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung der öffentlichen Abwasseranlage der Stadt Pulheim vom 27.12.1999 einschließlich nachfolgender Änderungen (BGS) dergestalt zu ändern, dass sie den rechtlichen Vorgaben des Urteils des OVG Münster vom 18.12.2007, Az. 9 A 3648/04, gerecht wird.

Begründung:

Mit Urteil vom 18.12.2007 hat das OVG Münster entschieden, dass ein einheitlicher Frischwassermaßstab für die Inanspruchnahme der städtischen Abwasseranlage für die Entsorgung des Schmutz- und Niederschlagswassers nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 6 Abs. 3 Satz 2 KAG NRW gerecht wird.

Wörtlich heißt es dort:

Es mangelt an einer wirksamen Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zu Gebühren für die Entsorgung von Abwasser (Schmutz- und Niederschlagswasser) für das hier maßgebliche Jahr 2001. Die hier einschlägige Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Stadt T. […] ist insoweit nichtig.

Die Satzung sieht damit als Maßstab zur Ermittlung der Abwasserentsorgungsgebühren für die Ableitung von Schmutz- und Niederschlagswasser den sogenannten einheitlichen Frischwassermaßstab vor. Dieser Maßstab ist nichtig.

Soweit die Gebührenbemessung für die Niederschlagswasserentsorgung nach dem Frischwassermaßstab erfolgt, fehlt aber der erforderliche hinreichende Zusammenhang zwischen dem Frischwasserverbrauch und dem Umfang der Inanspruchnahme der öffentlichen Abwasseranlage. Der Frischwasserverbrauch ist keine geeignete Bemessungsgröße, die einen verlässlichen Rückschluss darauf erlaubt, wie viel Niederschlagswasser von dem betreffenden Grundstück der öffentlichen Abwasseranlage zugeführt wird. Die Annahme, je größer oder geringer der Frischwasserverbrauch eines Grundstücks sei, desto größer oder kleiner sei dementsprechend auch die wahrscheinliche Niederschlagswassereinleitung von dem an die Abwasseranlage angeschlossenen Grundstück, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand. Der Frischwasserverbrauch ist regelmäßig personen- und produktionsabhängig. Die Menge des eingeleiteten Niederschlagswassers hängt hingegen von Größen wie Topographie, Flächengröße, Oberflächengestaltung und der Menge des Niederschlags ab. Ein verlässlicher Zusammenhang zwischen Frischwasserbezug eines Grundstücks und der von diesem Grundstück zu entsorgenden Niederschlagsmenge besteht aber nicht.

Bekanntlich hat die Rechtsprechung bislang die sog. 10%-Regelung akzeptiert, wonach eine Abweichung vom Regelfall zulässig sein sollte, wenn lediglich 10% der erfaßten Grundstücke nicht dem Regeltyp entsprachen. Daraufhin hat die Stadt bekanntlich ein teures Gutachten in Auftrag gegeben. Danach wurden höchstens 9,26% aller Fälle im Sinne der Rechtsprechung als atypisch eingestuft.

In der Vorlage für den HFA vom 24.10.2006 (TOP I.5, Vorlage-Nr. 942) sprach die Verwaltung noch von einer gefestigten Rechtsprechung. Die Gutachter selbst meinten indes schon damals in ihrem Fazit:

Die Rechtsprechung hat den Beurteilungsspielraum der Gemeinden bei der Wahl des Gebührenmaßstabes bereits deutlich eingeschränkt. Des Weiteren tendiert das OVG Münster zwischenzeitlich deutlich in die Richtung, dass die Abrechnung der Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung über eine getrennte Gebühr grundsätzlich angezeigt ist.

Gleichwohl wurden diese deutlichen Hinweise in der Stadt Pulheim ignoriert. Und das OVG Münster präsentiert nun die Quittung:

Der Senat hat allerdings in der Vergangenheit den einheitlichen Frischwassermaßstab akzeptiert, wenn das betroffene Gemeindegebiet durch eine im entwässerungsrechtlichen Sinn verhältnismäßig homogene Bebauungsstruktur mit wenig verdichteter (Wohn-)Bebauung und ohne eine nennenswerte Anzahl kleinflächiger Grundstücke mit hohem Wasserverbrauch bzw. großflächig versiegelter Grundstücke mit niedrigem Wasserverbrauch geprägt gewesen ist.

An dieser Auffassung hält der Senat nicht länger fest. Denn auch bei homogener Bebauung fehlt unter den hiesigen modernen Lebensverhältnissen der erforderliche Zusammenhang zwischen Frischwasserbezug und zu entsorgender Niederschlagswassermenge. Die Zahl der Bewohner bzw. die Intensität der Nutzung des jeweiligen Grundstücks, die die Menge des dem Grundstück zugeführten Frischwassers beeinflusst, ist so unterschiedlich, dass es einen vorherrschenden, mindestens 90 % der Fälle erfassenden Regeltyp mit annähernd gleichmäßiger Relation zwischen Frischwasserverbrauch je Grundstück und hiervon abgeleitetem Niederschlagswasser nicht gibt.

Diese Argumentation lässt an Deutlichkeit nichts vermissen. Immer wieder war die Stadt darauf hingewiesen worden, dass von der bisherigen Berechnungsmethode vor allem Familien mit Kindern, insbesondere dann, wenn sie in Mehrfamilienhäusern wohnen, besonders benachteiligt sind. Verbrauchermärkte mit großen Verkaufs- und Parkflächen profitierten von der bisherigen Regelung, weil ihr Trinkwasserverbrauch in Bezug zur versiegelten Fläche relativ gering ist. Mit anderen Worten, Familien mit Kindern subventionierten die Unternehmen sowie 1- bis 2-Personenhaushalte in Einfamilienhäusern, mit großen versiegelten Flächen. Das hat nun auch das OVG Münster wie nicht anders zu erwarten entschieden:

So führt im vorliegenden Fall bereits die Nutzung durch eine unterschiedliche Anzahl von Personen zu einem unterschiedlichen Frischwasserverbrauch und damit zu erheblichen, nicht mehr zu akzeptierenden Unterschieden bei der Höhe der veranlagten Gebühren für den Anteil der Kosten der Niederschlagswasserentsorgung:

War das nicht vorherzusehen? Das Gericht führt sogar noch mehrere Beispiele an, die jedem klarmachen sollen, dass eine Gebührengerechtigkeit bei Abrechnung nach dem Frischwasserverbrauch nicht möglich ist. Da helfe auch eine 10% Abweichung nichts mehr.

Auch Kostenargumenten hält das OVG Münster direkt entgegen:

Soweit der Beklagte meint, die Ermittlung der Abwasserentsorgungsgebühren nach dem einheitlichen Frischwassermaßstab sei kostengünstig und eine Umstellung auf einen flächenbezogenen Maßstab für die Kosten der Niederschlagswasserentsorgung und anschließender Pflege werde erhebliche Kosten verursachen, vermag dieses finanzielle Argument den Verstoß des einheitlichen Frischwassermaßstabs gegen § 6 Abs. 3 Satz 2 KAG NRW nicht zu rechtfertigen. Insoweit steht es dem Beklagten frei, z.B. ohne großen finanziellen Aufwand im Rahmen einer Selbstveranlagung der Gebührenschuldner die an die Abwasseranlage angeschlossenen versiegelten Flächen zu ermitteln und sich auf eine stichprobenweise Überprüfung zu beschränken. Wenn der Beklagte dabei feststellen sollte, dass Gebührenschuldner – wie von ihm behauptet – pflichtwidrig nicht der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht haben, kann er auch später noch weitere Kontrollen vornehmen und entsprechende Nachveranlagungen, soweit erforderlich, veranlassen.

Auch das Argument, die Kosten der Niederschlagswassentsorgung seien im Verhältnis zu den Gesamtkosten ohnehin gering, kontert das OVG Münster:

Die Anwendung des einheitlichen Frischwassermaßstabs für die Verteilung der Niederschlagswasserentsorgungskosten kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, eine Differenzierung der Kosten für die Entsorgung des Schmutzwassers und des Niederschlagswassers nicht erforderlich ist, wenn die durch die Gebühren zu deckenden Kosten der Niederschlagswasserentsorgung als geringfügig angesehen werden können und jedenfalls nicht mehr als 12 % der gesamten Abwasserentsorgungskosten betragen.

Zum Einen wird in der aktuellen Fachliteratur ein derartig geringer Kostenanteil für nahezu ausgeschlossen gehalten. Bislang durchgeführte Untersuchungen haben gezeigt, dass bei den Abwasserentsorgungskosten regelmäßig ein Anteil von 25 % und mehr für die Niederschlagswasserentsorgung gegeben ist.

In der Kalkulation der Abwassergebühren 2006 der Stadt Pulheim betrug der Kostenanteil für Niederschlagswasser ohnehin 30,36 %, im Jahr 2007 30,74%.

Fazit:

Es bleibt festzuhalten, dass die Stadt viele Jahre vor dem Offensichtlichen die Augen verschlossen hat. Statt dessen wurde ein teures Gutachten in Auftrag gegeben, um sich vor potenziellen Klagen zu schützen, in der Hoffnung, dass der 10%-Maßstab weiterhin aufrecht erhalten bliebe. Nun stellt das OVG Münster der Stadt Pulheim die Quittung aus. Das Gutachten war völlig nutzlos. Und die getrennte Abwassergebühr muss umgehend eingeführt werden. Das OVG Münster hat dafür einen gangbaren Weg vorgezeichnet.

Neben der Gebührengerechtigkeit fördert die gesplittete Abwassergebühr eine naturnahe Regenwasserbewirtschaftung. Von Gebühren für versiegelte Flächen geht ein finanzieller Anreiz zur Regenwassernutzung und -rückhaltung aus sowie zur Entsiegelung von Flächen. Diese Maßnahme trägt nebenbei auch noch zu einer Verminderung des Hochwasserrisikos bei.

Sollten die Gremien der Stadt Pulheim die Satzung nicht schon für das laufende Jahr ändern, wäre allen Pulheimer Eigentümern zu raten, gegen den nächsten Grundbesitzabgabenbescheid Rechtsmittel einzulegen. Es stellt sich sogar die Frage, ob die Stadt die Eigentümer nicht in ihrem Grundbesitzabgabenbescheid auf die Notwendigkeit von Rechtsmitteln hinweisen müßte.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Thomas Roth

f.d.R.

Renate Thiel